DÜRR-Gastbeitrag: Die FDP muss der Gegenentwurf zu den Status-quo-Parteien sein
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Dürr schrieb für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Samstagsausgabe) folgenden Gastbeitrag:
Haben Sie schon mal Ihren Samstag mit der Familie auf dem Fußballplatz verbracht? Mir geht es regelmäßig so, und jedes Mal bin ich aufs Neue beeindruckt von der Leistungsbereitschaft der Kinder. Sie stehen früh auf, laufen voller Energie auf den Platz und wollen sich beweisen. Sie wollen gewinnen. Und wenn man — noch etwas müde — mit einem Kaffee am Spielfeldrand steht, versteht man, dass das Leistungsprinzip entscheidend dafür ist, dass junge Menschen sich anstrengen und Freude daran haben. Die Politik kann viel davon lernen. Das Leistungsprinzip ist kein abstraktes Konzept, im Gegenteil. Jeder Fußball-Fan weiß: Die Differenzierung nach Leistung kann enorme positive Kräfte freisetzen. Darum geht es. Unsere Gesellschaft als Ganzes kann nur vorankommen, wenn jeder Einzelne sein Potential entfalten kann — und das macht die Politik derzeit allen, die etwas leisten wollen, besonders schwer. Auf der einen Seite stehen die extremen Parteien links und rechts, für die der Reformstau der Nährboden ist. Auf der anderen Seite stehen die Status-quo-Parteien, denen die Kraft zur Veränderung fehlt. Auch die FDP war lange Teil dieses Lagers. Heute müssen wir feststellen, dass vor allem der fehlende Mut zur Veränderung die extremistischen Ränder gestärkt hat. Für mich ist klar, dass das nicht so bleiben kann. Die FDP wird nicht länger Teil eines Systems sein, das kaum Veränderung ermöglicht. 82 Prozent der Deutschen halten unpopuläre Reformen für notwendig. Nicht die Menschen zögern also, sondern die Politik. Unser Land hat alle Chancen, aber die Politiker ergreifen sie nicht. Die Freien Demokraten wollen das tun.
Für mich ist klar, dass wir wieder aufs Leistungsprinzip setzen müssen. Das gilt nicht nur für Betriebe oder Arbeitnehmer, sondern auch für Politiker und staatliches Handeln. Um das zu erreichen, wird die FDP die Kraft sein, die mit radikalen Reformen die Chancen des persönlichen Erfolgs in den Mittelpunkt stellt. Dafür entwickeln wir ein neues Grundsatzprogramm, aber drei Grundpfeiler stehen für mich fest.
Erstens: Wir werden die Sozialversicherung radikal neu denken, denn das Umlagesystem ist ein Irrweg. Es vermittelt das Gefühl des Sparens für künftige Lebensrisiken, während in der Realität kein Cent gespart wird. Einzig Politiker haben profitiert, weil sie über Jahrzehnte Versprechen zulasten künftiger Beitragszahler machen konnten. In diesen Tagen streitet die Koalition über ein Rentenniveau von 47 oder 48 Prozent. Ich habe keine Lust mehr auf diese Debatten, denn wir brauchen einen echten Systemwechsel. Ab sofort sollte jeder in eine kapitalgedeckte Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung mit individuellen Eigentumsrechten einzahlen können. Der erste Schritt wäre schnell getan: Würde die Regierung auf das milliardenschwere Rentenpaket verzichten, das nur dem Erhalt des Status quo dient, wäre die Aktienrente bereits finanziert. Solche Reformen sind nicht bequem. Aber Ehrlichkeit und radikaler Mut zur Neuausrichtung der sozialen Sicherung ist der einzige Weg zu einem gerechten und soliden Sozialstaat.
Zweitens: Die niederschmetternden Schulleistungsstudien haben wir zu lange hingenommen. Wir müssen endlich den bildungspolitischen Irrweg der Gleichmacherei verlassen, denn es wäre ein Fehler, Schülern die Freude am Lernen zu nehmen. Kinder, die es schwer haben, müssen gezielt gefördert werden, aber keinesfalls darf sich eine Klasse an den langsamsten Lernern orientieren. Leistung entsteht nicht per Verordnung. Sie entsteht, wenn Lehrkräfte klug entscheiden können, welchen Stoff sie wann und wie vermitteln, am Ende aber deutschlandweite Prüfungen nach internationalen Standards erfolgen. Leistung muss wieder das oberste Bildungsziel sein — denn dahinter stehen Aufstiegschancen. Künftig sollte über Sprachtests sichergestellt werden, dass nur Kinder eingeschult werden, die Deutsch sprechen. Und wir müssen uns entscheiden: Wollen wir bessere Bildung? Oder mehr Geld für Soziales und Umverteilung? Die FDP entscheidet sich gegen den überbordenden Sozialstaat und für den Bildungsstaat. Wir wollen Aufstieg durch Bildung zur staatlichen Kernaufgabe machen. Ein Land, in dem das Elternhaus mehr zählt als der Fleiß eines Kindes, kann sich nicht liberal nennen.
Und drittens: Unser Land muss mehr Risiko wagen. Seit vielen Jahren geht es vor allem um Risikovermeidung: Datenschutz, Denkmalschutz, Alles-mögliche-Schutz. Während andere bei KI und Kernenergie vorangehen, erfindet Deutschland neue Regeln statt neuer Geschäftsmodelle. Das Ergebnis: Kosten, kaum Innovation, eine stagnierende Wirtschaft. Diese Risikoscheu führt dazu, dass niemand Verantwortung übernimmt. Doch ein Land, das Wohlstand erhalten will, braucht Mut zur Entscheidung. Das deutsche Arbeitsrecht etwa führt dazu, dass Unternehmen bewusst neue, gut bezahlte Jobs im Ausland schaffen, aber nicht bei uns. Der Kündigungsschutz verhindert heute keine Kündigungen mehr, sondern dass neue Jobs entstehen. Nur mit einer Rückkehr zu mehr Freiräumen und marktwirtschaftlichem Denken stärken wir unsere Wettbewerbsfähigkeit. Zugleich muss sich Leistung für jeden Einzelnen lohnen, indem Steuern und Abgaben spürbar sinken. Von jedem verdienten Euro, egal ob Minijobber oder Millionär, müssen immer mehr als 50 Prozent übrig bleiben — sonst dürfen wir uns nicht wundern, dass viele Menschen keine Freude haben, zu arbeiten.
Zentral für unsere wirtschaftliche Entwicklung wird zudem die Zuwanderung sein, auch wenn alle anderen Parteien diesen Zusammenhang nicht wahrhaben wollen. Angesichts unserer alternden Gesellschaft brauchen wir Zuwanderung, aber in den Arbeitsmarkt! Wir sollten uns an Nobelpreisträger Milton Friedman orientieren, der darauf hinwies, dass es Einwanderung nur geben könne, wenn der Arbeitsmarkt allen offen steht — nicht aber der Sozialstaat. Und da Einwanderung im besten nationalen Interesse ist, muss der Zugang zum Sozialstaat begrenzt werden. Mein Vorschlag: Wir weiten eine bewährte Regelung, die wir mit einigen Ländern des Balkans bereits haben, auf alle Länder aus: Wer einen Arbeitsvertrag hat und anpacken will, ist willkommen. Ein Anspruch auf Sozialleistungen wäre mit diesem vereinfachten Arbeitsmarktzugang ausgeschlossen — ein radikaler Wechsel hin zu einer wirtschafts- und leistungsorientierten Migrationspolitik.
Gelingen diese Reformen nicht, sollten Politiker Verantwortung für die Wirtschaftsentwicklung übernehmen, und zwar persönlich: Wenn, wie es aktuell der Fall ist, die Schulden stärker wachsen als die Wirtschaft, werden die Diäten entsprechend gekürzt — vielleicht wäre das ein heilsamer Realitätsschock. Ziel staatlichen Handelns muss immer die Maximierung von Freiheit, Wohlstand und Sicherheit sein. Und hier ist in den letzten zwei Jahrzehnten einiges verrutscht. Es ist die arbeitende Mitte, die sich radikalen Wandel wünscht, Menschen, die etwas für unsere Gesellschaft leisten.
Wir Freie Demokraten werden nicht akzeptieren, dass Vermögensaufbau für viele ein ferner Traum bleibt. Wir werden nicht akzeptieren, dass der Staat sich immer mehr einmischt, aber dort scheitert, wo er unverzichtbar ist — bei Bildung und Sicherheit. Dass sich Jüdinnen und Juden in Deutschland zunehmend unsicher fühlen, zeigt auf erschütternde Art und Weise, wie sehr der Rechtsstaat versagt. Dass Hausdurchsuchungen nach Social Media Beiträgen inzwischen kaum noch Emotionen auslösen, zeigt, wie sehr die Status-Quo-Parteien ihren Kompass verloren haben. Wir Freie Demokraten wollen nicht mehr Teil dieses Lagers sein. Meinungsfreiheit ist unbequem, aber sie ist ein Quell für freies Denken und Innovation. Die FDP ist nicht per se staatskritisch. Sie will, dass der Staat dort stark ist, wo er gebraucht wird, aber an den falschen Stellen zurückgedrängt wird.
Gute Politik beginnt nicht mit Etiketten, sondern mit der Frage, ob eine Entscheidung richtig ist — nicht, ob sie „liberal“, „konservativ“ oder „links“ ist. Die Menschen fragen nach der Wirkung: Hilft es ihrem Alltag, oder nicht?
Die Regierung Merz wird den Menschen keine bessere Zukunft bieten. Wir Freie Demokraten geben uns damit nicht zufrieden. Deutschland braucht neue Zuversicht. Die FDP will dafür ein Angebot machen. Kein populistisches, aber eben auch keines, das den Status quo am Leben erhält — sondern eines, das die Chancen unseres Landes radikal neu freilegen will. Und ja: Vielleicht ist die FDP eine Klientelpartei. Für Millionen Menschen, die unser Land voranbringen wollen. Wir wollen die politische Kraft sein, die das Leistungsprinzip wieder zur tragenden Säule unserer Gesellschaft macht. Und dafür werden wir aus dem Kreis der Status-Quo-Parteien ausbrechen.



